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Das
Teufelsrad (1925), Regie: Gregori Kosinzew, Leonid Trauberg
Schauspieler: Sergej Gerassimow, Pjotr Sobolewski, Ljudmila
Semjonowa, Emil Gal, Antonio Zerep, Vera Lande, Sergej Martinson u.a.
Uraufführung: I. internationales Stummfilmfestival Berlin,
Juli 1998
Fassung: Zur Aufführung wurde eine 35mm-Fassung des mit
russischen Zwischentitel (deutsch eingesprochen) aus dem Bundesarchiv/Filmarchiv,
die eine Länge von 957 m hat. Ursprünglich war der Film
länger, es sind jedoch nicht alle Akte erhalten.
Verwendete Musik: Stevie Wonder, Beat Jazz, Philipp Glass,
Swing for a crime, u.a.
Im Dezember 1921 versammelten sich Gregori
Kosinzew (19051973), Leonis
Trauberg (19021990) und einige Gleichgesinnte
in Petrograd, dem späteren Leningrad, um eine Plattform für
die Aufführung eigener Theater- und Filmarbeiten sowie für
die Ausbildung von Schauspielern ins Leben zu rufen. Das Projekt nannten
sie FEKS Die Fabrik des exzentrischen
Schauspielers. Unter dem Banner des Exzentrismus
soll hier eine neue Richtung der russischen Avantgarde begründet
werden, die sich hauptsächlich gegen deren revolutionäres
Pathos richtet*. Die FEKS-Kunst, egal ob Plakat, Theater oder Film,
das ist in der Folgezeit der Kunst, die nicht den Inhalt und das schöpferisch-kreative
Produkt betont, sondern das Verfahren und den Prozess der Fertigung.
Besonders aus der Adaption von Elementen des Varietè, aus der
Typisierung der Charaktere und aus dem Arbeiten mit Filmzitaten entstehen
streng berechnete stilistische Gesetze und Rollenbesetzungen, die
in der Fabrik mechanisch zu immer neuen Produkten zusammengefügt
werden.
Der älteste erhaltene FEKS-Film ist Das
Teufelsrad. Dieser Film vermittelt den
Eindruck einer lebendigen Collage aus verschiedenen Motiven und Zusammenhängen,
die ihr Eigenleben weiterführen, als das einer geschlossenen
Erzählung. Obwohl der Film in der Gegenwart spielt, erzählt
die FEKS kein Revolutionsstück, sondern ein Melodram. Zwar schildert
die Handlung den Verfall und die Läuterung eines Aurora-Matrosen
im Leningrad der NÖP-Zeit, die Periode der Neuen
ökonomischen Politik, doch Schuld
an seinem Verfall ist nicht die Gegenwart oder die Stadt, sondern
eine Metzgertochter, die ihn verführt. Die Frau erfüllt
ihre Funktion im Melodram, der Matrose seine im Revolutionsstück.
Die dritte zentrale Figur, die alle Geschehnisse zu kontrollieren
scheint, ist der Mensch-Fragezeichen.
Er gleicht ganz dem Bandenchef aus einem Kriminalfilm. Leningrad,
das zeigt der Film, ist eine Mischung von dunklen Straßen, Bars
und Salons, ein Ineinander von Zirkustreiben, Feuerwerk und Achterbahn,
eine Bewegung aus Musik und Tanz. Leningrad, das steht für sich
überschlagene Bilder wilder Exzentrik, für Bilder, die ein
Netz spannen in die Filmgeschichte. So verwandeln sich die Jahrmarktbuden
des deutschen Expressionismus in die Diebeshöhle Leningrads und
so muss der Held wie im amerikanischen Slapstik Harold
Lloyd gegen die Zeiger einer
gewaltigen Uhr ankämpfen.
Mit dem Teufelsrad war
jenes Ensemble gefunden, das fast ohne Ausnahme bis zur Auflösung
der FEKS 1929 zusammenarbeiten sollte: die Regisseure Gregori
Kosinzew und Leonid
Trauberg, der Kameramann Andrej
Moskwin, der Szenenbildner Jewgeni
Jenej und die Schauspieler Sergej
Gerassimow als der Bösewicht und
der Falschspieler Pjotr Sobolewski
als der Held. [J. Dittrich]
* Die FEKS forderten stattdessen: Risiko, Kühnheit, Revolution,
Gold, Blut, Abfuhrpillen, Charles Chaplin, Katastrophen zu Lande,
zu Wasser, in der Luft, erstaunliche Zigarren, Operettenprimadonen,
Abenteuer aller Arten, Skating-Ringe, amerikanische Stiefel, pferde,
Kampf, Chansonetten, Salto auf dem Fahrrad und tausend mal tausend
Ereignisse, die unser Heute wunderbar machen!" Zit. nach: Bernadette
Polidowa: FEKS - Fabrik des exzentrischen Schauspielers. München
1994, S. 94
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